Stellen Sie sich Ihrer Angst
In einem Interview mit dem SPIEGEL spricht der renommierte US-Psychologe Jerome Kagan über die Wurzeln der Angst und die Wege, wie wir ihr begegnen können. Auf diesem Gespräch aufbauend, möchten wir Ihnen einen tieferen Einblick in die Natur der Angst und praktische Ansätze zur Bewältigung geben.
Inhaltsverzeichnis
Die Natur von Ängsten laut Jerome Kagan
Jerome Kagan, emeritierter Professor der Psychologie an der Harvard University, hat Jahrzehnte damit verbracht, die emotionale Entwicklung von Kindern zu erforschen. Eine seiner zentralen Thesen ist, dass Angst eine biologische Grundlage hat. Bereits bei der Geburt sind manche Kinder ängstlicher als andere. Diese biologische Disposition wird jedoch durch Umweltfaktoren und Erfahrungen modifiziert.
Laut Kagan gibt es zwei wesentliche Arten von Ängsten: die vor physischen Gefahren und soziale Angst. Während die erste Art uns vor unmittelbaren Bedrohungen schützt, ist die zweite tief in unserem Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz verwurzelt. Soziale Angst entsteht, wenn wir fürchten, von anderen negativ beurteilt oder abgelehnt zu werden.
Die Bedeutung der Kindheit
Kagan betont die Rolle der Kindheit in der Entwicklung von Ängsten. Kinder, die in einem stabilen und unterstützenden Umfeld aufwachsen, haben bessere Chancen, gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Im Gegensatz dazu können unsichere Bindungen und negative Erfahrungen die Angst verstärken. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung einer liebevollen und fördernden Erziehung.
Was mir beim Lesen aufgefallen ist, ist der Prozentsatz von 20% „hochreaktiver Kinder“, geht man doch auch beim Phänomen HSP / Hochsensibilität von einem Prozentsatz von 15-20% aus und HSP gelten ja ebenfalls eher als schüchtern, vorsichtig, zurückhaltend, ängstlich und reizempfindlich.
Praktische Ansätze zur Bewältigung von Angst
Basierend auf Kagans Forschung und meinen eigenen Erfahrungen in der psychotherapeutischen Praxis kann ich Ihnen einige bewährte Ansätze zur Angstbewältigung vorstellen:
- Konfrontationstherapie: Wie bereits erwähnt, ist die Konfrontationstherapie eine effektive Methode, um Ängste abzubauen. Indem Sie sich Ihren Ängsten schrittweise und in kontrollierten Situationen stellen, lernen Sie, dass die befürchteten Konsequenzen oft nicht eintreten und Ihre Angst abnimmt.
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Diese Therapieform hilft Ihnen, irrationale Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern. Wenn Sie beispielsweise soziale Angst haben, können Sie lernen, negative Selbstgespräche durch positive und realistischere Gedanken zu ersetzen.
- Achtsamkeit und Meditation: Diese Techniken können Ihnen helfen, im Moment zu bleiben und Ihre Ängste aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Achtsamkeit kann die Intensität der Angstgefühle reduzieren und Ihnen mehr Kontrolle über Ihre Reaktionen geben.
Die Rolle der Eltern und Erzieher
Kagan betont, dass Eltern und Erzieher eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Bewältigung von Ängsten spielen. Sie sollten Kindern ein Gefühl von Sicherheit und Unterstützung vermitteln, aber auch ermutigen, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Ein Zuviel an Schutz kann dazu führen, dass Kinder nie lernen, ihre Ängste zu überwinden.
Die Irrationalität moderner Ängste
In unserer modernen Welt sind die meisten Ängste irrationaler Natur. Anders als unsere Vorfahren, die sich vor realen, unmittelbaren Gefahren wie Säbelzahntigern schützen mussten, sind die Bedrohungen, denen wir heute gegenüberstehen, oft weniger greifbar und konkret. Heutzutage fürchten wir uns vor sozialen Zurückweisungen, beruflichem Versagen oder gesundheitlichen Unsicherheiten, die zwar ernst genommen werden sollten, jedoch selten eine unmittelbare Lebensgefahr darstellen.
Diese irrationalen Ängste resultieren häufig aus übertriebenen Sorgen und negativen Gedankenspiralen, die durch unsere komplexe, technologiegetriebene Gesellschaft noch verstärkt werden. Indem wir uns dieser Tatsache bewusst werden, können wir beginnen, unsere Ängste in einem neuen Licht zu sehen und uns zu fragen, ob sie wirklich so bedrohlich sind, wie sie erscheinen. Dies ermöglicht uns, klarer und mutiger zu handeln und ein erfüllteres Leben zu führen.
Was Sterbende am meisten bereuen
Ein Aspekt, der in der psychologischen und therapeutischen Arbeit oft übersehen wird, ist die Erkenntnis, dass viele Menschen am Ende ihres Lebens bedauern, was sie aus Angst nicht getan haben. In Gesprächen mit Sterbenden wird immer wieder deutlich, dass die größten Reuegefühle nicht aus den Fehlern resultieren, die sie gemacht haben, sondern aus den Chancen, die sie aus Angst verpasst haben.
Sie bereuen, nicht den Mut gehabt zu haben, ihre Träume zu verfolgen, Beziehungen zu vertiefen oder sich neuen Erfahrungen zu öffnen. Diese Erkenntnis sollte uns alle ermutigen, unsere Ängste zu hinterfragen und uns nicht von ihnen leiten zu lassen. Es ist ein Appell an uns, den Mut zu finden, unser Leben voll auszuleben und nicht im Rückblick auf verpasste Gelegenheiten zu bereuen, was hätte sein können. Angst mag uns vor Gefahren schützen, aber sie kann uns auch davon abhalten, das volle Potenzial unseres Lebens auszuschöpfen.
Schlussfolgerung
Das Verständnis der biologischen und psychologischen Grundlagen der Angst, wie sie von Jerome Kagan erläutert wurden, kann uns dabei helfen, effektive Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die Kombination aus therapeutischen Techniken und persönlicher Unterstützung, ergänzt durch inspirierende Musik, kann einen kraftvollen Weg darstellen, um Ängste zu überwinden und ein selbstbestimmteres Leben zu führen.
Durch die bewusste Auseinandersetzung mit unseren Ängsten können wir lernen, sie zu kontrollieren und unsere Lebensqualität erheblich zu verbessern. Nutzen Sie die beschriebenen Techniken und suchen Sie bei Bedarf professionelle Hilfe, um den Weg zu einem angstfreieren Leben zu beschreiten.
- Welche Ängste beeinflussen Ihr Leben am meisten?
- Wie haben Sie bisher versucht, Ihre Ängste zu bewältigen?
- Gibt es spezielle Musik, die Ihnen hilft, sich stärker und mutiger zu fühlen?
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