Begriffliche Mogelpackung

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Mogelpackung - Jan Göritz - Heilpraktiker für Psychotherapie, Psychologischer Berater, Psychotherapeut (HeilprG) in Hamburg

Stellen Sie sich vor, sie kaufen sich eine Packung Kekse. Mit der fahren Sie nach Hause, kochen sich einen Kaffee und freuen sich so richtig darauf, 2, 3 Kekse zusammen mit dem Kaffee zu genießen.
Der Kaffee ist fertig, Sie öffnen die Kekspackung und entdecken statt Keksen Elektroschrott. Sie würden keine Sekunde zögern, das als Mogelpackung zu bezeichnen.

Es gibt aber Bereiche, in denen uns das häufig nicht annähernd so leicht fällt.

Wörter sind manchmal mehr als Wörter

Haben Sie es schon einmal erlebt, dass Sie irgendwo lang gegangen sind und plötzlich stieg Ihnen ein Duft in die Nase? Ehe Sie sich versehen haben, waren sie wieder sieben Jahre alt, und ihre Oma war gerade dabei, Apfelkuchen zu backen. Dieser Kuchenduft war also für Sie emotional aufgeladen.

Eine emotionale Aufladung findet sich manchmal auch in Wörtern:

  • Mutter: Das Wort ist allgemein mit Wärme, Fürsorge und Liebe aufgeladen.
  • Vater: Eine häufige Assoziation ist eine Mischung aus Schutz, Stärke, Stabilität, Vorbildfunktion.
  • Familie: Der Begriff steht häufig für Zusammenhalt, Geborgenheit und Wärme.

Was aber, wenn es zwischen Ist-Zustand und Soll-Zustand eine deutliche Abweichung gibt, wir es also – sozusagen technisch betrachtet – mit einer Mutter zu tun haben, die sich jedoch nicht mütterlich verhält?

Mogelpackung Mutter

Natürlich betrifft das Thema „Mogelpackung“ nicht nur Mütter. In meiner Praxis dreht es sich aber zum größten Teil um sie, wenn es um emotionale Diskrepanzen geht.

Höflichkeit ist oftmals eine Mogelpackung, die den wahren Inhalt verdecken will. (Willy Meurer)

Wie kann es sein, dass es Menschen gibt, die den Begriff „Mutter“ nicht mit ihrer eigenen Mutter verbinden?

Die sie beim Vornamen nennen oder gar nicht direkt ansprechen, weil sie sich weigern, sie „Mama“ oder „Mutter“ zu nennen?

Warum sprechen manche Klientinnen und Klienten von „der Frau, die mich geboren hat“?

Die Antwort ist so einfach wie traurig: Die Mutter hat sich nicht mütterlich verhalten.

Wie oben schon beschrieben, gehört „Mutter“ zu den emotional aufgeladenen Begriffen – es ist für uns mehr als nur die Beschreibung einer genetischen Abstammung. Wenn das Verhalten der Mutter nicht mit dem emotionalen Inhalt des Wortes übereinstimmt, entsteht ein innerer Konflikt.

Der Hintergrund dieses Konflikts ist eine Mogelpackung, nur nicht so offensichtlich wie der Elektroschrott in der Kekspackung.

Warum das so schwer zu greifen ist

Eine Packung Kekse mit Elektroschrott drin? Da ist die Sache klar. Die Verbraucherzentrale würde sich freuen. Eindeutiger geht es nicht: Mogelpackung!

Aber bei Begriffen wie „Mutter“, „Liebe“, „Familie“ wird es kompliziert.

Denn da mischt sich Realität mit Wunsch, mit gesellschaftlicher Erwartung und mit emotionalen Bildern aus Filmen und Büchern:

  • „Mütter lieben ihre Kinder bedingungslos.“
  • „Eine Mutter ist immer für ihr Kind da.“
  • „Mütter machen Fehler, aber sie meinen es immer gut.“

Sätze dieser Art sind bei vielen Menschen eng mit der Figur der mütterlichen Mutter verknüpft, dass es ihnen schwerfällt, zu erkennen und zu benennen, wenn ihre Mutter kein mütterliches Verhalten gezeigt hat.

Die Harlow-Versuche

Ein berühmtes Experiment aus der Verhaltensforschung bringt dieses Dilemma auf den Punkt: die Harlow-Versuche mit Rhesusaffen in den 1950er Jahren.

Nicht alles, was sich vertraut anfühlt, ist auch gut für uns.

Die Affenbabys hatten die Wahl zwischen zwei „Müttern“: Einer aus einem Drahtgestell gefertigt, die sie mit Nahrung versorgte, und einer aus weichem Stoff, die jedoch nichts zu essen bot. Dafür gab es dort aber Wärme und Geborgenheit ausstrahlte. Das Ergebnis war eindeutig – die meisten Jungtiere klammerten sich an die „Kuschel-Mutter“. Nur, wenn sie Hunger hatten, suchten sie Kontakt zur „Versorgungs-Mutter“. Nähe und emotionale Sicherheit sind also viel wichtiger als bloße Versorgung.

Überträgt man das auf den Menschen, wird schnell klar: Eine Mutterrolle erfüllt sich nicht allein durch Nahrung, Kleidung oder einen Platz zum Schlafen. Wenn emotionale Nähe fehlt, entsteht ein Mangel – selbst wenn äußerlich scheinbar „alles da“ ist. Genau dieser innere Widerspruch lässt viele Menschen zweifeln: „Ich hatte doch alles – wieso ist da dieses Mangel-Gefühl?“

Ein Beispiel aus der Praxis

Eine ehemalige Klientin war Anfang 30, als sie sich an mich wandte. Im Vorgespräch erzählte sie mir, dass ihr Partner mit Trennung drohte, sollte sich an ihrem Verhalten nichts ändern: kontrollieren, klammern, ständig in Hab-Acht-Stellung sein.

Sie beschrieb ihre Kindheit im Laufe der Therapie in etwa so:

„Meine Mutter war selten zu Hause. Wenn sie da war, war sie kalt, fordernd oder übergriffig. Ich hatte oft das Gefühl, ich sei ihr lästig. Zum Beispiel, wenn sie mich angeschrien hat: ‚Du nimmst immer nur. Und willst immer mehr – wie eine Made im Speck!‘ Aber wenn ich das jemandem erzählt habe, hieß es oft: ‘Ach komm, sie ist doch deine Mutter.’“

Ich musste meine Klientin übrigens zweimal darauf aufmerksam machen, dass die Mutter das damals dreizehnjährige Mädchen als „Made“ bezeichnet hat, bis sie die emotionale Schwere gesehen hat. Abwertungen und Beleidigungen waren so normal, da tat ihr das nicht mal mehr weh.

Sie ist also mit einem massiven Widerspruch aufgewachsen zwischen dem, was eine Mutter sein sollte, und dem, was ihre Mutter tatsächlich war.

In der Therapie nennen wir das ein gestörtes Bindungsmuster. Doch was diesem Muster zugrunde liegt, ist oft genau das, was ich hier beschreibe: eine Mogelpackung. Ein Begriff, der nicht das hält, was er verspricht.

Der Mut zur eigenen Wahrheit

Es braucht Mut, die eigene Wahrheit anzuerkennen.

Es braucht Kraft, zu sagen: „Meine Mutter hat mich nicht beschützt.

Oder: „Mein Vater war nicht der Fels in der Brandung, sondern der Sturm, der alles zerstören konnte.

Es ist leichter, eine falsche Mutter zu idealisieren, als sich einzugestehen, dass sie einem geschadet hat.

„Aber Herr Göritz, ich kann doch meine Eltern jetzt nicht auf einmal hassen. Es sind doch MEINE ELTERN!“ Dieser oder ähnliche Sätze fallen oft an dem Punkt des Erkennens.

Aber die Erkenntnis, dass eine Mogelpackung eine Mogelpackung ist, bedeutet nicht automatisch, dass man die entsprechenden Menschen hasst. Es bedeutet auch nicht, dass man ihnen keine Fehler zugesteht.

Es heißt nur: Ich sehe, was war. Und ich höre auf, es zu beschönigen.

Genau hier beginnt oft die Heilung. Nicht im Vergeben. Nicht im Vergessen – sondern im Benennen.

Warum das so wichtig ist

Solange wir Begriffe wie Mutter, Vater, Familie … benutzen, ohne zu hinterfragen, ob sie bei uns halten, was sie versprechen, übernehmen wir oft genauso unreflektiert die Schuld.

Wenn „Mutter“ gleichbedeutend ist mit Liebe, aber ich mich ungeliebt fühle – dann muss ja mit mir etwas nicht stimmen.

Diese verdrehte Logik kennen viele Menschen. Und sie ist ein Nährboden für Selbstzweifel, Depressionen, Bindungsprobleme.

Erst wenn wir erkennen: Vielleicht war es keine liebevolle Mutter, sondern nur die biologische Mutter, dann können wir beginnen, uns selbst aus dem Schuldgefühl zu befreien.

Reflexionsfragen

  • Gibt es Begriffe in Ihrem Leben, die nicht das halten, was sie versprechen?
  • Wie sprechen Sie über Ihre Eltern, Ihre Familie, Ihre Beziehungen?
  • Welche Begriffe benutzen Sie – und welche vermeiden Sie ganz bewusst?

Loyalität, die auf Schmerz basiert, ist keine Tugend, sondern ein unsichtbares Gefängnis.

Fazit: Worte ent-täuschen

Worte haben Kraft. Und manchmal sind sie täuschend.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass die Begriffe, die Sie bezüglich Ihres Lebens verwenden – im Jetzt und in der Vergangenheit -, nicht passen – dann haben Sie das Recht, sich neue, passende Worte zu suchen. Oder alten Worten eine neue Bedeutung zu geben.

Denn am Ende geht es nicht um Vokabeln, sondern darum, dass Sie einen ehrlichen Blick auf Ihr Leben, Ihre Geschichte haben dürfen – ohne Etikettenschwindel.

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FAQ

Warum fällt es so schwer, sich von der eigenen Mutter zu distanzieren – auch wenn sie einem schadet?

Weil das Wort „Mutter“ stark emotional und kulturell aufgeladen ist. Es steht für Liebe, Geborgenheit und Fürsorge – unabhängig von der realen Beziehung. Viele Menschen fühlen sich innerlich verpflichtet, loyal zu bleiben, selbst wenn sie leiden. Der Satz „Aber es ist doch meine Mutter …“ zeigt, wie Sprache unsere Handlungen beeinflussen kann.

Was bedeutet es, wenn ein Wort wie „Mutter“ eine Mogelpackung ist?

Eine Mogelpackung ist ein Begriff, der etwas Positives suggeriert, das in der Realität nicht vorhanden ist. Wenn jemand z. B. eine emotional kalte oder manipulative Mutter hat, aber das Wort „Mutter“ automatisch mit Liebe verknüpft, entsteht ein innerer Widerspruch. Das führt zu Schuldgefühlen, Verwirrung und emotionaler Lähmung.

Wie kann ich erkennen, ob ich durch ein bestimmtes Wort (z. B. „Familie“, „Liebe“, „Pflicht“) emotional manipuliert werde?

Fragen Sie sich:

• Was löst das Wort in mir aus?
• Verhalte ich mich so, wie es mir guttut – oder so, wie es das Wort vorgibt?

Wenn ein Begriff dazu führt, dass Sie Ihre eigenen Bedürfnisse übergehen oder sich selbst kleinmachen, ist Vorsicht geboten. Dann wird Sprache zum Werkzeug der Selbstmanipulation – oder Fremdsteuerung.

Was kann ich tun, um mich von solchen Begriffen emotional zu lösen?

Ein erster Schritt ist das Umdeuten. Statt „Mutter“ können Sie z. B. sagen: „Die Frau, die mich geboren hat.“ Das schafft Abstand und hilft, die Beziehung realistischer zu betrachten.
Außerdem ist es hilfreich, die eigenen Gefühle zu priorisieren, statt gesellschaftlicher Erwartungen. In der Therapie kann man lernen, solche Begriffe zu entlarven – und neue Bedeutungen zu entwickeln, die zu einem selbst passen.


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