Ein beispielhaftes Drama-Dreieck
Frau Müller kommt zu mir in die Praxis und schäumt vor Wut:
„Herr Göritz, ich weiß nicht mehr weiter! Der Mike…“ sie bricht ab um dann doch fortzufahren: „Ich weiß nicht mehr wohin mit mir. Ich bin so unglaublich wütend!“
Beim letzten Satz verwandelt sich ihr Gesicht in eine wutverzerrte Version, und ihre Stimme wird deutlich lauter.
„Was ist denn überhaupt los? Weswegen genau sitzen wir uns jetzt gegenüber?“ möchte ich von ihr wissen.
Inhaltsverzeichnis
„Also, der Mike…“ Ich schaue sie fragend an. „Ach so, das ist mein Sohn.“ nimmt sie meinen Impuls auf. „Entschuldigen Sie bitte. Also der Mike… der baut nur Mist und ich fühle mich so alleine damit.“
„Sind Sie allein erziehend?“
Sie schnaubt verächtlich: „nee, könnte man denken, oder? Mit meinem Mann sprechen Sie direkt das nächste Thema an. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass der an meiner Seite steht.“
„Wie verhält sich denn Ihr Mann in dieser Situation?“
„Der verhält sich, als wäre er der Verteidiger von Mike. Wenn es darum geht, dass Mike mal mithelfen soll, dann sagt er immer ‚ach lass doch, ich mach das schnell‘ oder ähnliches.
Oder er sagt, ich muss Verständnis haben, wenn Mike mal Dinge vergisst. Ich hab aber kein Verständnis und ich fühle mich verdammt nochmal alleine damit.“
„Und Ihr Sohn? Was sagt und tut der?“
„Der macht echt nur sein eigenes Ding. Den interessiert gar nicht, was andere für Bedürfnisse haben. Und wenn ich ihm mal eine Ansage mache, dann heißt es gleich ‚Du liebst mich gar nicht.‘ und ‚du interessierst dich nicht für mein Leben‘.“
Und damit haben wir die drei Beteiligten des Dramas beisammen:
- Das Opfer: Der Sohn Mike fühlt sich als das Opfer seiner Mutter, die Ansprüche an ihn und seine Beteiligung am Familienleben hat. Damit ist sie hier der Täter
- Der Täter: sie kritisiert den Sohn, ist latent oder auch ganz offen aggressiv und hinterfragt nicht, ob sie wirklich im Recht ist. Im Gegensatz zum Vater. Dieser ist gerne der Retter
- Der Retter: er beschützt das Opfer – seinen Sohn – so gut er kann vor den Ansprüchen und Forderungen der Mutter. Dadurch manifestiert er jedoch alle Rollen nur noch mehr.
Das Drama-Dreieck in der Theorie
Es gibt hier drei Rollen:
- Das Opfer
- Den Täter
- Den Retter
Das bedeutet jedoch nicht, dass – wie hier im Beispiel – drei Personen beteiligt sein müssen. Da die Menschen, die auf eine solche Art verstrickt sind, die Rollen oftmals auch wechseln, kann man auch zu zweit, beispielsweise in einer Partnerschaft, einen solchen Kreislauf initiieren und am Laufen halten.
Allgemeine Beschreibung der Rollen:
- Das Opfer: Das Opfer ist passiv und hilflos und lebt meist in dem Glauben, unschuldig zu sein. Es fühlt sich machtlos gegenüber der Welt und anderen Menschen
- Der Täter: Der Täter denkt stets, er sei im Recht und fühlt sich anderen gegenüber schnell überlegen. Er spart nicht mit Kritik und neigt dazu, diese in Form von Beschuldigungen zu äußern. Täter neigen auch zu aggressiven Verhaltensweisen.
- Der Retter: Der Retter möchte das Opfer retten. Deswegen nimmt er eine beschützende Haltung ein und versucht, das Opfer vor den Unannehmlichkeiten und Herausforderungen des Lebens zu schützen. Durch sein Verhalten sorgt der Retter nicht selten dafür, dass sich die Hilflosigkeit des Opfers manifestiert.
Dynamik im Dreieck
Auch wenn Menschen normalerweise eine bevorzugte Rolle einnehmen, ist es möglich, dass ein Wechsel der Rollen stattfindet. So kann zum Beispiel ein Mensch, der sich als Opfer fühlt, den Kontakt zu anderen Menschen – den vermeintlichen Tätern – abbrechen und wird dadurch zum Täter. Das bedeutet allerdings nicht, dass die andere Seite sich als Opfer wahrnehmen muss. (Siehe auch „Ausbruch“, Punkt 1: Selbstverantwortung)
Die Wechsel der Rollen sorgen dafür, dass in dieses System keine Ruhe einkehrt, – bis einer oder mehr der Beteiligten sich entscheidet, beziehungsweise sich entscheiden, die jeweils zugewiesene Rolle nicht mehr anzunehmen.
Die eingenommenen Rollen und die Rollenwechsel haben ihren Ursprung häufig in frühen Kindheitserfahrungen. Ebenso wie die Wahrnehmung des Gegenübers und die der eigenen Person.
Eine solche Konstellation verhindert in der Regel echte Nähe, da nicht die Menschen, sondern lediglich die Rollen miteinander interagieren. Um also aus solch einer Situation heraus echte Nähe zuzulassen, ist es also nötig, sich aus dem Drama zu lösen.
Ausbruch
Das Dreieck basiert auf dem Abspulen unbewusster, fast reflexhafter Handlungsweisen. Deswegen ist der erste Schritt, um das Dreieck zu verlassen, sich bewusst zu machen, was man tut und warum man es tut.
Dazu muss man sich ehrlich damit auseinandersetzen, welche Bedürfnisse man hat, aber auch, welche Grenzen.
- Selbstverantwortung: Ein elementarer Schritt ist es, die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Damit vermeidet man, in die Rolle des hilflosen Opfers zu fallen und kann aktiv am eigenen Wohlergehen arbeiten.
- Klare Kommunikation: Wenn man seine eigenen Bedürfnisse und Gefühle ausdrücken kann, dann ist man in der Lage offen und ehrlich zu kommunizieren. Somit müssen Sie nicht mehr andere beschuldigen, angreifen oder kritisieren.
- Grenzen setzen: Nur wenn man Grenzen richtig setzen und respektieren können, vermeidet man, in die Rolle des Retters gedrängt zu werden oder sich in die Rolle des Täters zu begeben.
- Empathie und Verständnis: Wenn man eine solche Verstrickung verlassen möchten, ist es hilfreich, die eigene Position gedanklich zu verlassen und sich in die des Gegenübers zu versetzen. Dieser Perspektivwechsel kann einen dabei unterstützen, konstruktiver zu kommunizieren und zu handeln.
Wie findet Frau Müller den Ausweg?
Analog zu den oben aufgezeigten Möglichkeiten ergeben sich in Bezug auf mein Beispiel vom Beginn des Artikels folgende mögliche Schritte
- Die verschiedenen Rollen und die dazugehörige Dynamik aufzeigen
- Wege erarbeiten, mit denen sie in der Lage ist, ihren Gefühle und Bedürfnisse so zu kommunizieren, dass ein Anwachsen von Frust und Wut verhindert wird
- An ihrer Kommunikation arbeiten: aktives Zuhören und Ich-Botschaften lernen
- Ihr Bewusstsein für gesunde Grenzen und für Eigenverantwortung schärfen. Beides gilt in Bezug auf sich selbst, auf ihren Sohn Mike und auch in Bezug auf ihren Mann.
- Verständnis und Empathie fördern und stärken. Frau Müller kann lernen, Verständnis für ihren Sohn zu entwickeln und so zu erkennen, wo er möglicherweise noch Unterstützung benötigt, um ins Handeln zu kommen. Gleichzeitig sollten die beiden Elternteile am gegenseitigen Verständnis arbeiten, so dass sie in Erziehungsfragen eine Einheit bilden, an der Mike sich leichter orientieren kann.
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