Angst und Verschwörungstheorien
Vorwort
In der aktuellen Situation der Corona-Krise existieren viele, teils polarisierende Ansichten. Da ich persönlich über zu wenig Wissen bezüglich Viren verfüge, kann ich nicht sagen, welche Ansicht die richtige ist. Und weil ich die Dinge nicht überprüfen kann, muss ich auch in Betracht ziehen, dass es möglich sein könnte, dass all die getroffenen Schutzmaßnahmen übertrieben sind und waren. Auch wenn ich das für sehr unwahrscheinlich halte.
Ich muss es also aushalten, mit einer Ungewissheit zu leben.
Eine Sache kann ich aber immer tun: Ich kann mich gegen Angst und Ohnmacht entscheiden.
Es soll in diesem Artikel nicht um Wahrheitsfindung gehen, das darf jeder für sich selbst entscheiden. Ich möchte in diesem Artikel ausschließlich darlegen, warum die Angst, die durch bestimmte Ideen geschürt wird, für die eigene Persönlichkeit nachteilig ist.
Für meine Arbeit als Heilpraktiker für Psychotherapie spielt es grundsätzlich keine Rolle, welche Meinung, welchen Standpunkt ein Klient vertritt. Der Diagnose ist es egal, ob jemand HSV- oder Bremen-Fan ist, ob jemand die Linke oder die AfD wählt, ob jemand Hunde mag oder Katzen, Weintrinker ist oder Bier präferiert.
Verschwörungstheorien
Auch sogenannte Verschwörungstheorien gehören erst einmal in den Bereich der persönlichen Meinung und somit spielt es keine Rolle, ob jemand Impfgegner ist oder daran glaubt, dass Bill Gates die Weltherrschaft übernehmen möchte.
Diese Meinungen sind für meine psychotherapeutische Arbeit irrelevant.
Was jedoch gerade im psychotherapeutischen Bereich immens wichtig ist, ist der Bereich der Gefühle. Während in den erstgenannten Bereichen zwar leidenschaftlich diskutiert werden kann welcher Fußballverein der beste oder welche Partei die richtige sei, so wird es im Bereich der sogenannten Verschwörungstheorien interessant, hier regiert nämlich primär ein Gefühl: Angst. Und zwar nach meiner Beobachtung eine diffuse Angst vor Kontrollverlust, vor Verlust der Autonomie, vor Verlust der individuellen Freiheit.
In diesem Zustand diffuser Angst kann man zum einen in allem und jedem eine Bedrohung sehen, zum anderen möchte man das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht möglichst schnell wieder loswerden. Aus diesem Grund wird ein Kontakt zu Gleichgesinnten gesucht – nach dem Motto „geteilte Angst ist halbe Angst“. Leider ist meistens das Gegenteil der Fall:
Es bildet sich in kurzer Zeit ein Netzwerk, in dem sich angstverstärkende Ideen, Nachrichten und deren Interpretationen rasant verbreiten und sowohl die Angst als auch die Abgrenzung des Netzwerkes nach außen verstärken. Es entsteht eine immer größere Kluft zwischen „Wir“ und „Die“.
Es besteht die Gefahr, dass ein „Perpetuum Mobile“ der Angst entsteht.
Das halte ich aus therapeutischer Sicht deswegen für problematisch, weil diese ohnmächtige Angst uns aus dem Kontakt mit uns selbst bringt (siehe: „Warum es uns schlecht geht„)
und die Kontrolle über unser Denken und unsere Gefühle übernimmt.
Nicht selten herrscht erst eine Angst vor Versklavung und mit der Zeit wird man immer mehr zum Sklaven seiner Angst. Es tritt also genau das ein, was man man ursprünglich gefürchtet hat: Unfreiheit.
Der Wunsch nach Halt und Sicherheit
Ungewissheit zu ertragen fällt uns Menschen schwer. Wir wünschen uns Eindeutigkeit, Sicherheit und Planbarkeit. Das beginnt bei „liebt sie mich?“ und endet bei der Frage nach einem Leben nach dem Tod.
Nicht umsonst haben „Hellseher-Hotlines“ seit Jahren Hochkonjunktur. In der Regel beruhigt uns solch ein Gespräch. Entweder wir haben gehört, was wir erhofften zu hören oder wir erhalten vermeintliche Lösungen für unser Problem.
Genau andersherum ist der Prozess bei sogenannten Verschwörungstheorien:
Auf der Suche nach Eindeutigkeit verstärkt sich die Angst immer mehr durch die Kommunikation mit Gleichgesinnten. Dadurch besteht die Gefahr, dass wir uns immer weiter von dem einzigen Menschen entfernen, der uns Halt geben kann: ich selbst.
Stattdessen wenden wir uns Menschen und Ideen zu, die zwar Stärke und Gemeinschaft suggerieren, uns aber in eine emotionale Abhängigkeit bringen. Denn je kleiner der Kontakt zum inneren Halt ist, desto größer ist das Bedürfnis nach Halt im außen.
So kann man beispielsweise, wenn man nicht genau hinsieht, Angst haben, im Nichtschwimmer-Becken zu ertrinken. Es spielt dann auch keine Rolle, wer einem den Rettungsring zuwirft.
Bevor Sie sich „retten“ lassen: Überprüfen Sie, ob Sie entweder schwimmen können, oder mit den Füßen auf den Boden kommen.
Abschließend kann ich sagen, dass ich es sehr schätze, Dinge kritisch zu hinterfragen und nicht alles bedingungslos für bare Münze zu nehmen. Aber kritisches Hinterfragen geht auch immer damit einher, Unsicherheit und Ungewissheit aushalten zu können. Denn: Nur weil man denkt, dass Meinung A falsch ist, heißt es nicht automatisch, dass Meinung B richtig ist.
Gehen Sie hin und wieder das Risiko ein, keine eindeutige Meinung zu haben. Entscheiden Sie sich für sich und den Kontakt zu sich selbst – und gegen Angst und Ohnmacht.
Es lohnt sich!
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